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 | Politik & Gesellschaft
Letzte Änderung: 29.07.2025 Autor*in: Ruth Steinke

Hä??... Suffi... was??

Ein Plakat auf dem Boden mit der Aufschrift "enough is enough"
© Meg Jenson, Unsplash

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ verkommt immer mehr zu einem Modewort: Viele Produkte und Firmen werben damit, in politischen Programmen taucht es an prominenter Stelle auf. Und doch hat der Begriff einen eher drögen Beigeschmack. So wirklich angesagt klingt er nicht, eher moralisierend, schwerfällig, problembehaftet und mit vielen Themenfeldern aufgeblasen. Zudem gibt es zu jedem Unterthema schier unendlich viele Informationen und ein unüberschaubares Wissen, das den Blick auf das Wesentliche wohl eher verstellt.

Kann man da anders drangehen, aus einem anderen Blickwinkel draufschauen?

Bei Nachhaltigkeit geht es doch auch um ein Lebensgefühl, um das eigene Selbstverständnis und Weltverständnis, um Einstellungen und Haltungen, um Infragestellungen von Normalitäten. Was ist für mich Schönheit, Freude, Sinn(lichkeit)? Was bedeutet für mich „Wohlergehen“, „Gutes Leben“, „Genug... für alle“. Was heißt für mich Freiheit, wo sehe ich Grenzen, wo Verantwortung, was ist Solidarität? 

Nachdenken über diese Fragen im Kontext von Nachhaltigkeit heißt Nachdenken über „Suffizienz“. Damit ist ein Konzept gemeint, das grundsätzlich über unseren Lebensstil, unsere Zwecke und unsere Mittel im Hinblick auf die planetaren ökologischen Grenzen und Genügsamkeit nachdenkt. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) gemeinsam mit der BUND-Jugend hat dazu eine klug argumentierende und mit vielen (lebens-)praktischen Beispielen angereicherte Broschüre veröffentlicht „Ein gutes Leben für alle! Eine Einführung in Suffizienz“ (2017).

Suffizienz heißt dort (S. 17):

  • Die Überlegung zulassen, dass etwas genug sein könnte.
  • Wohlstand und Wohlbefinden neu verstehen.
  • Die Begrenzung und Endlichkeit unserer natürlichen Lebensgrundlagen anerkennen und konstruktiv damit umgehen.
  • Offen über Gewinne, Verzichte, Verteilungskonflikte und Verantwortung sprechen.
  • Mögliche Einschränkungen akzeptieren und neue Freiheiten zu schätzen lernen.
  • Bereit sein für eine Veränderung des eigenen Denkens und für vielfältige Perspektivwechsel.

Puh, ... ein ganz schön anspruchsvolles Programm! Offenbar kommen wir aus der Nummer nicht raus.

Nachhaltigkeit und damit verbundene Lebensentwürfe sind nicht einfach, sondern herausfordernd, anstrengend, komplex.

Und dazu kommt:

Die Haltungen der Suffizienz stehen den gegenwärtig gängigen Lebensstilen entgegen.

Wir alle spüren alltäglich wie schwer es ist, die eigene Verantwortlichkeit für die Folgen unserer konsum- und eventorientierten Lebensweise in den Blick zu nehmen und auch mit anderen zu thematisieren. In der wissenschaftlichen Sprache der Soziologie: Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der „die Bedeutung konsumorientierter Formen der Selbstverwirklichung und sozialen Distinktion (…) steigt" und „öko-soziale Imperative mit ihren als beschränkend und bevormundend wahrgenommenen Vorstellungen von Glück und Lebenssinn zunehmend abgelehnt“ werden (Blühdorn 2018).
Der Soziologe Andreas Reckwitz konstatiert, dass „das auf erfolgreiche Selbstverwirklichung gerichtete Lebensgefühl der neuen Mittelklasse (...) grundsätzlich an der Gegenwart orientiert“ (Reckwitz 2017, s. 431) sei. Das bedeutet, dass man mit dem Versuch, sich an Suffizienz auszurichten, auch nicht gerade bewundernde Reaktionen erntet.

Was bleibt also?

Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Frage von rationaler Analyse und lösungsorientiertem Wissen, sondern auch von Lebensführung.  Die Basis dafür sind Wertorientierungen, Haltungen, Einsichten. Und um diese auszurichten auf die Herausforderungen braucht es... einen langen Atem, Freunde, die mitmachen, Lust und Kraft, die „Standardeinstellungen“ (D. F.R. Wallace) zu hinterfragen, Leichtigkeit und Gelassenheit, Experimentierfreude. Und Großzügigkeit mit sich selbst.

Literatur:
Blühdorn, I. / Butzlaff, F. / Deflorian, M. / Hausknost, D. (2018) „Transformationsnarrativ und Verantwortlichkeit: Die gesellschaftstheoretische Lücke der Transformationsforschung“, IGN-Interventions Jan/2018, INSTITUT FÜR GESELLSCHAFTSWANDEL UND NACHHALTIGKEIT (IGN), Wirtschaftsuniversität Wien, Austria.

BUND u. BUNDjugend (2017) „Ein gutes Leben für alle! Eine Einführung in Suffizienz“, Stuttgart.

Reckwitz, Andreas (2017) „Die Gesellschaft der Singularitäten“, Berlin.

 


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